Daniela Erni

Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin

«Wendepunkt»
Ausstellung John Schmid Galerie, Basel, 2014


Es sind sanfte, skurrile Geschöpfe, die uns in den Bildern von Daniela Erni begegnen. Sie führen ihr eigenes Leben in einer abgeschlossenen Sphäre. Mit zarten, aber auch glühenden Farben entsteht der Eindruck einer entrückten Welt. Mit jedem Werk tauchen neue Formen auf; vertraut und geheimnisvoll zugleich, entziehen sie sich der Benennbarkeit.

Wie der Blick in einen Mikrokosmos erinnern sie an Anfänge von Leben, biomorphe Strukturen, feinste Gewebe oder archaische Wesen, im Moment ihrer Entstehung begriffen. Sie bewegen sich im Grenzbereich von Greifbarem und Flüchtigem, tragen das Potenzial von Wandelbarkeit in sich. Manchmal vorsichtig geöffnet oder verschlossen, einige mit tastenden Tentakeln ausgestattet, evozieren sie unterschiedliche emotionale Zustände, wie Versunkenheit, Heiterkeit, Abwehr, Verletzlichkeit oder Melancholie. Einige verführen den Blick mit taktiler List, lösen über stoffliche Oberflächen Berührungsreize aus. Andere, wie bizarre Erscheinungen von fremden Planeten, locken ein Lächeln hervor.

Seit vielen Jahren hat sich Daniela Erni ganz der Tiefdrucktechnik verschrieben, eine Leidenschaft, die sie seit ihrer Ausbildung an der Fachklasse für Originaldruckgrafik der Schule für Gestaltung Basel nicht mehr losgelassen hat. «Ich mag die Bearbeitung des Kupfers – es lässt sich gut formen», sagt die Künstlerin. In allen Varianten beherrscht sie die Altmeistertechnik, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht und sich mit berühmten Namen wie Rembrandt und Goya verbindet.

Bei der Radierung entsteht das Bild seitenverkehrt, als ein vertieftes Relief in der Druckplatte. Erni arbeitet vorwiegend mit Mezzotinto und Aquatinta für die Flächen, mit Kaltnadel gräbt sie Linien und formbegleitende Schraffuren ins Metall, um plastische und stoffliche Wirkungen zu erzielen. Die Bearbeitung des Kupfers und auch der nachfolgende Prozess des Einfärbens und Druckens fordern körperlichen Einsatz. Von einem Motiv entsteht jeweils nur eine kleine Auflage. Heute nutzen nur noch wenige Kunstschaffende diese Technik, der aufwändige und langwierige Entstehungsprozess widerspricht dem Zeitalter der Digitalisierung und Beschleunigung. Umso kostbarer erscheint der faszinierende Kosmos von Daniela Erni, bevölkert mit liebevoll eigentümlichen Wesen, eine Gegenwelt des Rückzugs und der heiteren Stille.

Iris Kretzschmar