Daniela Erni

Anita Haldemann, Kuratorin Kunstmuseum Basel

«Neue Aquarelle und Radierungen»
Ausstellung Galerie Esther Hufschmid, Zürich, 2006


In den letzten zehn Jahren hat sich Daniela Erni einen Namen als meisterhafte Radiererin gemacht, die immer wieder mit kleineren und dann öfters mit grossformatigen Drucken Liebhaber der Druckgrafik beeindruckt. Lebewesen unbekannter Herkunft, mit samtenen oder eher pelzigen Oberflächen, Härchen, Zähnen und manchmal Augen schweben oder schwimmen durch undefinierte Räume. Obwohl sie inspiriert sind von der Naturbeobachtung, etwa von Meerespflanzen und –tieren in Aquarien, so sind sie doch nicht von dieser Welt, sondern müssen in der Phantasie der Künstlerin angesiedelt werden.

Die Radiertechnik ist aufwendig. Die zum Teil sehr grossen Kupferplatten müssen in wochenlanger Vorarbeit präpariert werden, manchmal mit der Bohrmaschine, meist mit dem Wiegestahl. Auch die Arbeit mit der Kaltnadel bedeutet, kraftvoll den Widerstand des Materials zu überwinden. Das Drucken braucht ebenfalls Geduld, bis das Resultat endlich auf dem Papier sichtbar wird. Dieser lange Prozess wird zwar von Daniel Erni gesteuert, doch spielt der Zufall in jeder Phase eine Rolle. Von Anfang an bringen die Platten bereits Spuren mit sich, beispielsweise Überresten eines früheren Versuches mit Direktätzung (sie arbeitet nicht gerne mit neuen, blanken Platten), weitere Kratzer entstehen beiläufig als Nebenprodukte des Gestaltungsprozesses. Das Experiment mit der Farbe bringt immer wieder neue, überraschende Effekte. Bisher arbeitete Daniela Erni gerne mit intensiven Farben und starken Kontrasten. In den neusten Drucken hat sie Transparentweiss eingesetzt um die Tiefdruckfarbe aufzuhellen. Es sind Lebewesen entstanden, die leicht wirken, die in die Ferne zu entschweben drohen. Diese Leichtigkeit und zarte Farbigkeit, die fast den materiellen Entstehungsprozess vergessen lassen, bringt einen neuen Aspekt in Daniela Ernis Radierungen.

Mit grossformatigen Aquarellen hat sich die Künstlerin in den letzten Monaten einen neuen Tätigkeitsbereich erschlossen, der zunächst nicht gerade naheliegend scheint, war sie doch bisher ausschliesslich Radiererin und erarbeitete Ihre Motive direkt auf der Platte ohne Vorzeichnung. Doch reizte es sie, mit dem weichen Pinsel die wässrige Substanz auf glattes Papier aufzutragen – ohne Widerstand, ohne Kraft, eine neue sinnliche Erfahrung. Doch ähnlich wie bei der Radierung spielt sie auch hier mit dem Zufall, denn die Farbigkeit, die Kontraste werden bei diesen Aquarellen erst deutlich sichtbar, wenn die Wasserfarbe getrocknet ist. Auch hier braucht es Geduld, bis das Endresultat sich manifestiert.

Entstanden sind auf dem Papier menschliche Gestalten, die im leeren Raum aber doch fest auf dem unsichtbaren Boden stehen oder sitzen. Trotz fehlenden Armen, abgewandten Gesichtern haben diese Figuren eine starke kröperliche Präsenz. Sie bleiben als Wesen ambivalent, verletzt und doch kräftig, verunstaltet und doch irgendwie schön, (zer-)fliessend und doch konturiert. Was wie Nähte oder Narben aussieht, sind die Grate der Farbflächen. Dort konzentriert sich das ausgeschwemmte Pigment. Linie und Fläche sind eins, sind nicht trennbar. Die Pinselführung liess beides gleichzeitig entstehen. Die Geste hat weder Anfang noch Ende.

Anita Haldemann