Daniela Erni

Anja Sitter, Originaldruckgrafikerin

(Druckwerkstatt Olten)
Vernissagerede
Ausstellung Galerie Quellgasse, Biel, 2003


... Guten Abend ...
... Kennen Sie den Altrhein-Weg? ...

Dem Altrhein-Weg entlang, hinter einem Drahtgitterzaun, ragen riesige zylinderförmige Tanks der Ciba in den verschleierten Nacht­himmel auf, einer am andern, und ihnen entlang kriechen kreischend Güter-Wagen, Geisterzüge (ohne Lok und Menschen) horizontaler Zylinder, von fahlen Glühbirnen beleuchtet. Hinter den Tanks, weiss ich, fliesst bleiern der Rhein nach Norden. ... eine Ratte! ... Schlanke horizontale Zylinderchen vor fetten vertikalen Zylindern.

Auf der gegenüberliegenden Strassenseite: schmales Trottoir, die Front der Häuserzeile 30 bis 38 und die in Basel üblichen drei Treppenstufen zur Tür. Zwei begleitet besprayte und mit sozialpädagogisch wertvollen Affichen bestückte Stockwerke Jugendtreff, dann noch eine Treppe, eine Pressspantür mit Vorhängeschloss. Weiss lasierter Riemenboden und der vertraute Geruch nach Charbonnel und (heilig, heilig, heiligem) Filz.

Das ist die Biosphäre der Käfer und Pelzchen, Amöben und Tentakel, verblühten Berganemonen, Seeanemonen, Disteln und Mutanten ... oder was immer diese Wesen sein mögen ..., die Ihnen hier begegnen.

An Ostern besuchte ich Daniela im Atelier des Kunstvereins Olten an der Piazza Sauli in Genua. In Renzo Pianos Aquario im alten Genueser Hafen begegneten wir Algen, Schnecken, Würmern, SeeGurken, Anemonen; Bizarres, wie Seadragon, Seepferdchen, Quallen aller Art und Farbe. Tintenfische, Mondfisch, zutrauliche Rochen und tropische Zierfische.

Wir wanderten der Cinque-Terre-Küste entlang, durch Pinienwälder hoch über dem Meer: Wurzelstöcke (unter denen so allerlei lebt), Wolfsmilch-Gewächse, Ginster, Dornbüsche, Bruchsteinmäuerchen mit frühen Eidechsen und Insekten, eigenartige Käfer und Schmetterlinge.

Viel und wenig erzählt sich so über die Bilder, die Sie hier sehen. Viel zu wenig darüber, wie dem Kupfer eine Oberfläche, dieser Oberfläche eine Form abgerungen wird. Viel zu wenig über die Bewegung der Kaltnadel und des Wiegestahls. Viel zu wenige über die Kraft, mit der sich der Diamant ins Metall gräbt, oder mit der ein Polierstahl Mezzotinto glättet, bis im 100stel-millimeter-Bereich ein Relief entsteht.

Kupferplatten und entsprechend Kupferdrucke sollten man streicheln, mit den Fingerspitzen anschauen dürfen! Natürlich sind sie hier nicht ohne Glas ausgestellt, um Handgreiflichkeiten zu provozieren. Der optische Tastsinn soll ungehindert Raues, Feines, Grate und Glätten, Pelzchen, Borsten und Stachel befühlen und all die Eindrücke an die Haut weiterleiten können. Dort soll es kribbeln und kitzeln, schmeicheln und kratzen, bis Sie Gänsehaut kriegen.

Die Verletzung der Plattenoberfläche hat etwas Gewalttätiges, ist körperliche Tat, heftige Bewegung. Manchmal aus Mutwille, manchmal aus Unmut (gelinde ausgedrückt). Die Bewegung ist rhythmisch, repetitiv wie der Puls, der Alltag, die langwierige Arbeit an einer Kupferplatte. Die Bewegungen der Werkzeuge sind Bewegungen der Künstlerin, die sie führt. Dieser Bewegung ist hier eine ganze Wand gewidmet. Sie finden sie am Ursprung jeder Form, jeder Oberflächen­beschaffenheit in Daniela Ernis Arbeiten.

Im Ungestümen dieser ursprünglichen Bewegung suchen Mezzotintoeisen und Dreikantschaber, Kaltnadel und Polierstahl die Formen, die sie hier sehen. Sie wurden dem Kupfer abgerungen, man sieht die Spuren des Feilschens um sie. Sie sind organisch zwar, aber vergleichbar unumstösslich, wie die vertikalen und horizontalen Zylinder im Ciba-Güterbahnhof am Altrhein-Weg. Modelliertes und tief einge­grabenes Blauschwarz bewegt sich im transparent-blau überwalzten Format wie Algen im Wellengang des Aquario, wie Käfer und Eidechsen zwischen den Steinen am Wegrand. Sie faszinieren, sind sehr fremd­artig, sehr skuril und sehr liebenswert, fast vertraut.

Das Narrative in Daniela Ernis Arbeit ist suggestiv, aber fakul­tativ. Ihre Meisterschaft in Mezzotinto- und Kaltnadeltechnik unabdingbar, aber selbstverständlich. Die kaltschwarzen streichel­baren Oberflächen und geklärten organischen Formen distaziert, aber auf dem Grund einer pulsierenden Bewegung. Als Betrachterin bin ich irgendwo tief berührt und leise beunruhigt, es bleibt aber mir überlassen, wieviel Gewicht ich dem beimesse. Ich kann's auch einfach ignorieren oder wie eine Fliege verscheuchen. Ich darf Sie einladen, die Fliegen heute zu hätscheln, wünsche Ihnen Gänsehaut und einen schönen Abend....

Gratuliere Daniela und Alfi zur Eröffnung der Ausstellung ...

Anja Sitter