Daniela Erni

Anneliese Zwez, Kunstkritikerin

Vernissagerede
Ausstellung Galerie Quellgasse, Biel, 2006


Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Daniela Erni

Sie brauchen es gar nicht erst zu sagen; ich sehe es Ihnen an; Sie sind überrascht. Jene doppelt, welche die Ausstellung in der Galerie Esther Hufschmid diesen Sommer verpasst und auch die Solothurner Jahresausstellung noch nicht gesehen haben. Daniela Erni geht neue Wege.

Bisher haben wir die Künstlerin mit sattfarbenen Mezzotintas von Zellen, Samen, Fasern, Schalen mit vegetativem oder organischem Hintergrund assoziiert. «Was den Blick bannt», so schrieb ich vor drei Jahren anlässlich der Ausstellung von Daniela Erni hier in der Quellgasse, «was den Blick bannt, ist die Intensität der Farbe, dieses dunkle, dunkle Blau (andernorts auch Rot) das in der Technik der «Mezzotinta» durch Bearbeitung der Kupferplatte förmlich porös wird und sich mit dem Papier zu Lebensausdruck an sich zu verbinden scheint». Daniela Erni wurde allseits als Meisterin des Kupferdrucks bezeichnet und dafür auch ausgezeichnet. Und jetzt zeigt sie uns Heliogravüren, die auf der Basis eines Videos entstanden sind, Inkjet-Prints von unbearbeiteten Fotografien sowie kleine plastische Hände aus Ton im Spiel miteinander. Im Sommer in Zürich, kürzlich an der Zürcher Kunstmesse und aktuell im Kunstmuseum Solothurn waren respektive sind Aquarelle zu sehen. Und fast überall ist, anders als früher, der Mensch da oder zumindest suggeriert.

Glauben Sie mir, keine Künstlerin macht einen solchen Schritt einfach so mir nichts dir nichts. Jedenfalls nicht eine Künstlerin wie Daniela Erni, die sich während Jahren mit Haut und Haar dem Kupferdruck verschrieben hat, mit Kraft und Körpereinsatz der harten Platte Strich um Strich weiche Formen eingeschrieben und im Druck aufs Papier ausgeschrieben hat.

Das Rohmaterial für die Arbeiten, die wir hier sehen, entstanden 2003 anlässlich des Aufenthaltes der Künstlerin im Solothurner Atelier in Genua (erstaunlich, wer dort nicht alles schon wesentliche Impulse erfahren hat – von Susanne Hodel über Bernd Höppner bis Schang Hutter). Wesentlich ist im Fall von Daniela Erni, zu realisieren, dass die Neuausrichtung also nicht von einem Tag zum andern kam, sich vielmehr langsam vorbereitete. «Es ist eigentlich gar nicht so, dass ich immer nur Kupferdrucke machte», sagt die Künstlerin, es sei nur so, dass sie all ihre anderen Arbeiten nie befriedigt hätten und sie darum nie öffentlich geworden seien.

Mit anderen Worten, wir haben es mit einer klassischen Schubladisierung zu tun. Das geschieht sehr oft in der Kunst, da ja die Optik der Betrachtenden auf den Dialog zwischen der Kunst und ihnen selbst ausgerichtet ist und erst in zweiter Linie auf den Künstler oder die Künstlerin. Darum haben wir uns gelabt an der Üppigkeit des Potentials von Leben in den Arbeiten von Daniela Erni und nicht bedacht, dass in der Natur vieles dann am üppigsten ist, wenn das Welken, das Zerfallen, der Tod bevorsteht.

Mit anderen Worten, wir haben es mit einer klassischen Schubladisierung zu tun. Und jetzt zeigt uns Daniela Erni, dass sie sehr wohl darum wusste und sie nie nur «juheirassa» meinte. Eigentlich haben auch wir diese Wehmut, diese Angst um die Verschwendung von Leben gespürt, aber wir haben es gerne verdrängt und uns lieber von der Erotik ihrer Werke verführen lassen.

Aber Daniela Erni kam offensichtlich zum Punkt, wo sie dies nicht mehr aushielt, Abschied nehmen musste, manches sterben lassen musste, um selbst weiterzukommen. Viele Künstler schaffen das nicht, vor allem wenn sie schon einen respektablen Bekanntheitsgrad haben, weil die Angst vor einem möglichen Einbruch am Kunstmarkt sie blockiert. Mit der Folge, dass ihre Werke dann oft manieriert wirken.

Daniela Erni hat es gewagt und den Abschied zum Thema ihrer neuen Arbeiten gemacht. Ein Abschied freilich, der eher melancholisch getragen ist, denn eine eigentliche Zäsur bedeutet. Das Video respektive die Videostills für die Serie der Heliogravüren entstanden auf einem alten Friedhof in Genua. Sie wissen, in den lateinischen Ländern ist der Tod sehr viel mehr ins Leben eingebettet als bei uns. Da sind die Friedhöfe nicht einfach auf Ruhe und Ordnung ausgerichtet, da wird gelebt, erzählt, werden Erinnerungen wach gehalten. Das äussert sich auch im Gestalte­rischen. Ganze Szenen werden da in Stein übertragen. Wir nennen es barock oder gar Kitsch, sprechen von Pathos, grenzen uns ab und lieben es eigentlich doch. Daniela Erni geht da auf diesem Grat. Sie hat das Video in den Computer übertragen und Ausschnitte gewählt, welche den Ursprungs-Kontext gerade noch erahnen lassen, primär aber sich selbst bedeuten: Das skulpturale Gesicht einer Frau, eines Mannes, Ausschnitte von Händen, Finger.

Warum sie die Heliogravüre als Werkausdruck gewählt habe, wollte ich von Daniela Erni wissen. Die Antwort fiel nicht eindeutig aus, das Vertrautsein mit der grafischen Sprache nannte sie – es gibt vereinzelt auch ältere Heliogravüren in ihrem Werk – dann die direkte Ableitung von der Fotografie und ein Resultat, dass das wiedergebe, was sie suche.

Ich weiss, Künstlerinnen und Künstler ergründen nicht immer, was sie tun; sie lassen gewisse Dinge gerne auf der Ebene des Unausgesprochenen. Die KunstkritikerInnen denken da etwas anders. So ist es also an mir, zu versuchen, dieses Unausgesprochene auszuformulieren. Das kann ich nur subjektiv. Präsentierte uns Daniela Erni die Stills als Fotoprints, blieben die Motive beim Abbild, quasi beim Stein. Im Prozess der Umwandlung in eine Heliogravüre, bei dem Wechselwirkungen zwischen Licht und Materie ausnutzt werden, wandelt sich hingegen der Aggregatszustand des ursprünglichen Motivs und das Prinzip des Druckes kehrt überdies quasi die Seite um. Wir schauen nicht mehr auf die ursprüngliche Oberfläche, sondern eigentlich auf ihren Widerschein und dies in der ganzen Ton-Nuanciertheit der Heliogravüre. Wir können den Stein zwar immer noch benennen, doch wir realisieren zugleich, dass es nur die Erinnerung an einen Stein ist, die wir sehen. Es sei hier angemerkt, dass die Gravüren im Atelier von Arno Hassler in Moutier gefertigt wurden.

Kombinieren wir nun die Technik mit der Thematik – mit dem Friedhof, der Skulptur, der Frau, dem Mann, der Hand – dann sind wir vielleicht da, wo dieses Spüren um eine unausgesprochene Dimension angesiedelt ist.

Versuchen wir nun in Gedanken eine der früheren Aquatintas neben die neuen Heligravüren zu «hängen», sehen wir einerseits die Verschiedenartigkeit, erkennen andererseits aber auch den Faktor Emotionalität als verbindende Triebfeder. Daniela Erni sucht die Essenz mit dem Gespür, nutzt es als Alphabet. Eine Fähigkeit, die Frauen – denken wir an Louise Bourgeois oder an Maria Lassnig – in der Kunst immer als wesentlich betrachtet haben.

Ich habe «Abschied» als Thema der Ausstellung bezeichnet und bereits eingangs gesagt, dass er in diesem Fall nicht etwas Absolutes beinhalte, sondern etwas Transitorisches. Die Helio­gravüren zeigen das sehr schön, vor allem auch in der Dreiheit von Mann und Frau und Hand. Augenfällig ist dies aber auch bei den drei grossformatigen Inket-Prints hier in der Ausstellung. Auch in diesem Fall sind die Aufnahmen während des Aufenthaltes in Genua entstanden, wurden aber erst jetzt quasi «spruchreif». Das Schiff, der Blick in die Weite, die Ferne und der Widerschein – alles Motive, welche das Thema augenfällig machen. Wesentlich ist aber die Stimmung und da haben fühlen wir uns vielleicht im ersten Moment rückerinnert an die dunklen Blau der Kupferdrucke und fragen uns, wie die Künstlerin denn diesen Effekt herbeigezaubert habe.

«Gar kein Zauber», sagt sie, die Fotos seien nicht bearbeitet. Fast glaubt man es nicht und staunt, mit welcher Spürsicherheit die Nicht-Fotografin ihre Motive im Gegenlicht aufnahm, um mitten am Tag – die Sonne steht hoch – ein Hell-Dunkel zu erzeugen, wie es sonst nur die Dämmerung kann. Und wie sie durch die Bild­vergrös­serung die Härte des Realen minderte, um eine Stimmung zu erzeugen, die wesentlich mehr emotionalen als faktischen Gehalt hat. Dass das Schiff am Hafen Luisa heisst, ist völlig irrelevant im Blick auf den Print. Es geht um das Schiff an sich, um die mögliche Reise, um das Dunkel und das Hell, die sich nicht hart, sondern weich begegnen.

Wieder müssen wir die Frage nach der Technik stellen. Warum hier nicht Heliogravüre, sondern Inkjet. Und wieder liegt die Antwort bei uns. Werden wir bei den Heliogravüren auf die Gleichzeitigkeit mehrerer «Aggregatszustände» hingewiesen, sind wir bei den Inkjets die direkt Schauenden, sind wir die Figur am Pier, schauen wir in die Spiegelung der Sonne im Meer – ich kann mich nicht vom Staunen lösen, dass das nicht der Mond, sondern die Sonne ist, die da scheint – erwägen wir die Schifffahrt. In der Fotografie bleibt, obwohl Abbild, das Gleichgerichtete – wir stehen am selben Ort wie die Künstlerin und sind ebenso Kamera wie sie. Und das will sie hier auch so.

Wenn wir uns dem Gesamtwerk Daniela Ernis zuwenden, können wir also sagen, dass die neue Arbeiten zwar sehr anders sind, dass die neuen Arbeiten aber genauso gekenntzeichnet sind von der Fähigkeit der Künstlerin, die gewählte Technik explizit als Medium, als Inhalts­träger, als Methode um künstlerischen Ausdruck zu vermitteln, nutzt.

Wir wissen, dass mediale Zuordnungen im Moment überall im Fluss sind, kaum etwas, das nicht zugleich auch etwas Anderes ist. Die Grafik ist da ganz besonders betroffen. Dementsprechend habe ich Daniela Erni gefragt, ob sie denn die Inkjet-Prints, die ja auch ein Druckerzeugnis sind, unter diesem Aspekt heute zur Original­grafik zählen würde. Doch sie dementiert heftig. Zu sehr liegt ihr wohl der manuelle, der tätig gestaltende Aspekt der traditionellen Drucktechniken im Blut. Und mir sagt ihre Reaktion, dass ihr Schaffen heute eine Ausweitung bedeutet, aber keinesfalls einen definitiven Abschied vom Kupferdruck.

Aber die Künstlerin will sich für die Zukunft alle Türen offen halten – auch mal zum Pinsel greifen, um ohne jegliche Übersetzung Formen unmittelbar vor sich entstehen zu sehen. Und auch das Skulpturale, das im Kupferdruck, in der Bearbeitung der Druck­platten von eminenter Bedeutung ist, gelegentlich direkt zeigen. Wir sehen es hier in der Wandarbeit aus tönernen kleinen Händen, die übrigens nicht einzeln gefertigt sind, sondern von einem Keramiker mit einem Model multipliziert wurden. Wir können sie als Hommage an die Hand-Arbeit begreifen oder auch rückbinden an die Heliogravüren, gar bis zu Michelangelo, und ihre Bedeutung auf die Symbolebene rücken. Hände tun ja sehr vieles, sehr vieles sogar! Man könnte einen eigenen Vortrag dazu halten.

Ich für mich kann nur hoffen, dass es mir gelungen ist, das aktuelle Schaffen von Daniela Erni einen Moment in meinen Händen getragen und ihnen vermittelt zu haben.

Annelise Zwez